Mietest du schon oder besitzt du noch?
Raul Schweizer peilt mit Möbelmiete einen radikal geringeren Ressourcenverbrauch an, so dass auch kommende Generationen einen hohen Lebensstandard geniessen können. (Interview von MAKE FURNITURE CIRCULAR, Januar 2022)
Wie bist du auf die Idee gekommen ein Start-up zur Vermietung von Möbeln zu gründen?
Zur Umzugszeit läuft man in vielen Städten Slalom um Möbel herum, die am Strassenrand stehen, und die offensichtlich zu wenig Wert sind, als dass sich deren Besitzer:innen darum kümmern würden, sie weiterzugeben.
Ich finde dies absurd. Wir wollen mit weniger Ressourcen zukunftsfähig werden, aber bei Möbeln – die ja materialmässig pro Person richtig ins Gewicht fallen – kaufen wir Wegwerfprodukte, die nach wenigen Jahren nur noch für die Wärmegewinnung etwas wert sind.
Und da setzt das Mietmodell ein: Einerseits wird das Möbel in Schuss gehalten, weil es ja mehrmals vermietet werden soll. Andererseits wirkt es sich positiv auf die Qualität eines Möbels aus. Denn für ein Mietmodell lohnt es sich schlicht mehr, langlebige Möbel auf den Markt zu bringen.
Was sind die Herausforderungen beim Aufbau eines solchen Mietmodells?
Die Herausforderungen betreffen vor allem unsere Ambition, mit einem Kreislaufwirtschaftsmodell künftigen Generationen einen ebenso hohen Lebensstandard zu ermöglichen wie heute, aber mit radikal weniger Ressourcenverbrauch.
Dafür benötigen wir fundiertes Wissen über die gesamte Wertschöpfungskette. Aktuell fokussieren wir uns bei CIVAG auf die zu Beginn wichtigsten Stellschrauben:
- Verstehen, wie produziert wird und woher die Materialien kommen.
- Auswahl von Produkten, die für die langfristige Nutzung und Instandhaltung geeignet sind.
- Kund:innen aufzeigen, dass es eine günstige Alternative zum kurzfristigen Kauf von Wegwerfprodukten gibt.
Seit wann seid ihr live und wie läuft es bis jetzt?
Wir sind am 12. Dezember 2020 live gegangen. Pünktlich zum 5. Jahrestag des Pariser Klimaabkommens. Seither stossen wir auf viel Unterstützung der Industrie und unser Ökosystem an Partnerschaften entwickelt sich sogar schneller als geplant. Dabei gelingt es uns, lokale Lösungen, insbesondere für unser Service-Geschäft zu finden, auch beim Re- und Upcycling.
Weiter sind wir stolz darauf, dass wir Möbel bereits halb-automatisiert über unser Onlineportal vermieten konnten und unsere Kund:innen mit den gemieteten Möbeln und der hohen Qualität des Services zufrieden sind.
Wo braucht es noch Veränderungen, damit sich solche Geschäftsmodelle durchsetzen?
Unser Geschäftsmodell ist neu und daher braucht es Geduld und seriöse Arbeit, um Vertrauen zu schaffen. Wir wollen sowohl mit der Qualität unserer Produkte, als auch der Verlässlichkeit und Einfachheit unserer Services unsere Kund:innen nachhaltig überzeugen. Schliesslich steht CIVAG für Circular Value Generation; wir wollen also qualitativen Mehrwert anstelle von Quantität schaffen.
Zusätzlich würden mehr Transparenz und Ökobilanzierungen der Unternehmen in unserer Wertschöpfungskette helfen. Es gibt viele gute, lokale Unternehmen, welche sich dahingehend noch nicht vermarkten (können). Diese Unternehmen möchten wir unterstützen. Dabei hilft uns, dass sowohl seitens Unternehmen und Gesetzgebung als auch in der Gesellschaft ein Gesinnungswandel spürbar ist.
Dieser Wandel ist für unser Modell grundlegend: Die Kund:innen werden entscheiden, ob wir mit unserem Modell, das auf vermehrtes Instandhalten abzielt, einen Platz finden neben den traditionellen Modellen.
Warum sollten Kund:innen euer Angebot nutzen?
In vielen Lebensabschnitten, insbesondere im Alter von 20–35 Jahren kauft man sich Möbel, die nicht den eigenen Werten entsprechen, aber für den Zeithorizont der neuen Mietwohnsituation halten (zwei bis drei Jahre im Schnitt, laut unseren Umfragen). So führt der Mangel an (Planungs-)Wissen, was die Zukunft bringt, dazu, dass die Möblierung eher als Provisorium, denn als Zuhause gekauft wird.
Wie so oft bei Provisorien, würden die Kund:innen aber langfristig sowohl bzgl. Ausstattungsqualität als auch Kosten mit einem hochwertigeren Modell, wie unserem, besser fahren. Das trifft auch bei der Möblierung zu. Sogar, wenn man bei der Betrachtung die positiven Effekte auf Gesellschaft und Umwelt ignoriert würde.
Bei CIVAG setzen wir gezielt auf die positive Wirkung von Qualität im Kreislauf. Wir wollen, dass jede:r Qualitätsmöbel wählen kann, ohne dabei die Flexibilität, z.B. für einen Umzug oder Austausch der Möbel, zu verlieren.
Wir bieten also die Möglichkeit, qualitativ hochwertige und nachhaltige Möbel so lange zu nutzen, wie sie wirklich in die Wohnsituation passen. Natürlich kann man von uns die Möbel, z.B. zum nächsten Umzugstermin, auch wieder abholen lassen. Das spart nicht nur Geld, sondern auch Nerven.
Welche Nachhaltigkeits-Kriterien gelten für die Hersteller eurer Möbel?
Als Kooperationspartner von CIVAG muss der Hersteller mit uns eine Lösung für die Instandhaltung der Möbel definieren. Das umfasst z.B. Transport, Reparatur und Ersatzteilverfügbarkeit.
Weiter ist aktuell der Hauptteil unserer Produkte aus lokalem Massivholz und natürlich aus nachhaltiger Bewirtschaftung. Schliesslich haben wir in unseren Lebenszyklus-Analysen herausgefunden, dass die Transportwege mit unter den grössten negativen Umwelteinfluss haben. Nachhaltigkeit bedeutet bei Holz also auch, dass man es nicht um die Welt schicken sollte. Das ist auch jedem klar, der schon mal das Gewicht und Volumen bei einem Umzug schleppen musste.
Zusätzlich haben wir einen Code of Conduct, den wir gerade auf Basis unserer SDG-Analyse erweitern. Dort wo die Möbelindustrie einen Beitrag zu den UN Sustainable Development Goals leisten könnte, wollen wir diese Möglichkeiten unseren Partnern aufzeigen und von ihnen einfordern.